Ethnogruppe Gora (Serbische Ethnomusik)

Serbische Ethnomusik muss laut sein. So laut, dass sie durch das ganze Tal oder gleich über den nächsten Berg zu hören ist. Zu Beginn des Heimatlieder-Projekts sangen Sandra Stupar und Dušica Gačić diese beeindruckenden Lieder zu zweit. Inzwischen sorgt die mit Familie und Freunden deutlich vergrößerte Ethnogruppe Gora (Berg) regelmäßig für atemlose Stille und tosenden Applaus. 

Der Chor – Die Ethnogruppe Gora

Der Chor: "Sing doch mal die erste Stimme!" 

Weder Sandra Stupar noch Dušica Gačić ist mit diesen Liedern groß geworden. Die beiden interessieren sich vor allen Dingen für den traditionellen Roots-Gesangstil, einem sehr alten, ursprünglichen Stil ohne Schnörkel. Auf Serbisch: Izvorna Muzika, ursprüngliche Musik. Die stimmgewaltigen Sängerinnen singen seit Jahren zusammen im Chor der serbisch-orthodoxen Kirche in Berlin, wo sie sich auch kennen gelernt haben. Sandra hörte damals Dušica die zweite Stimme singen – und sprach sie an, ob sie nicht auch mal die erste Stimme singen wollte. Klar wollte sie! Die beiden taten sich zusammen, Sandra grub alte Lieder und Texte aus, und sie probten emsig. Da haben sich nicht nur zwei Stimmen gesucht und gefunden! "Man muss sich richtig gut verstehen, um gut miteinander singen zu können", sagt Sandra. Den entscheidenden Kick verpasste dem Duett die Heimatlieder-Premiere 2013 an der Komischen Oper. Ausverkauftes Haus, Standing Ovations. Sandra: "Das machte Lust auf mehr!"

Vom Duett bis zum Oktett ist alles möglich

Inzwischen sind längst kein Duett mehr. Sandras Töchter Katarina und Teodora sind dazu gekommen, Nesthäkchen Helena steht schon in den Startlöchern. Auch Dušicas Schwester Kristina und ihr Bruder Stefan, sowie die Freunde Katarina und Dejan sind inzwischen mit dabei. Das Ensemble auf der Bühne besteht aus mindestens zwei Sängerinnen, oft aber aus mehreren oder allen Mitgliedern, wenn gerade an der Uni keine Klausuren geschrieben oder Hausarbeiten abgeliefert werden müssen. Wie vielseitig Sandra, Dušica und Katarina sind, beweisen sie regelmäßig bei Auftritten der Heimatlieder Allstars, wo sie locker marokkanische oder kubanische Töne anschlagen mit La Caravane du Maghreb oder Ricardo y Rafael y Pedro. Und sogar beim vietnamesischen Quan họ Chor summt Sandra gern eine tiefe zweite Stimme, wenn eins unser aller Lieblingslieder gesungen wird: Giấc Mơ Trưa (Mittagstraum). 

Die Musik: Etno Muzika

Sehr pur, sehr laut, sehr schön

Traditionelles serbisches A-capella-Liedgut (Ethnomusik) ist stark geprägt durch die heimatliche Landschaft. Man braucht eine wirklich außerordentliche Stimmkraft, um auch im Nachbardorf (hinter dem nächsten Berg) zu hören zu sein. Die Ethnomusik ist regional stark verwurzelt, ist aber wie oft auf dem Balkan auch beeinflusst von den Nachbarländern wie Bulgarien, Mazedonien, der Walachei, Griechenland oder der Türkei. 

Die bewegte Geschichte des serbischen Ethnogesangs

Seit den 1990er Jahren ist der Begriff etno muzika auf dem serbischen Musikmarkt immer wichtiger geworden. Dabei bezieht er sich nicht ausschließlich auf das ganz traditionelle Liedgut, wie wir es von der Ethnogruppe Gora kennen, sondern auch auf einige Stücke, die schon eine gewisse Modernisierung erfahren haben. Das kann auch schon in den Bereich Pop oder Jazz gehen. Dieser Boom kam nach einer Zeit der Vergessenheit recht überraschend. Vorausgegangen war dem das Feiern der traditionellen Musik unter Tito, und nach dessen Tod im Jahr 1980 die Unlust, sich mit eben dieser Musik weiter zu beschäftigen. In den 90er Jahren erlebte die Ethnomusik einen unglaublichen Boom, der bis heute ungebrochen ist. Nach dem Sturz Milosevics wollten die kulturell Verantwortlichen eine Musik etablieren, die helfen könnte, das gestörte serbische Nationalgefühl wieder herzustellen. Dabei sollte gleichzeitig das kulturelle Erbe gepflegt werden. Auch wurde die Musik in dieser Zeit weiterentwickelt, und zwar auf höchstem Niveau, was einen der großen Unterschiede zum Turbo-Folk ausmacht. Beliebter als die Vokabel "serbisch" war zu der Zeit allerdings das Wort "Balkan", das irgendwie besser ankam – beim Volk und auch in den Medien. Dabei ist "Balkan" ähnlich weit gefasst und lässt viel Interpretationsspielraum zu wie der Begriff "der Westen". 

Was ist das typische an dieser Musik?

Musikethnologen beschäftigten sich tagein tagaus mit dieser wiederauflebenden Musik und fassten zusammen, was sie ausmacht: unter anderem ist sie wirklich richtig alt, sie benutzt vornehmlich die menschliche Stimme, wobei die Sänger trotz ihrer außerordentlichen Performance einen sehr unangestrengten Eindruck machen, sie bedient sich gern auch byzantinischer und orthodoxer Folk Traditionen, und sie betont die guten Seiten des Balkans: Autentizität, Natürlichkeit, Harmonie zwischen dem Spirituellen und dem Weltlichen, Hartnäckigkeit und etwas angenehm Exotisches sowie Brüderlichkeit (Colovic, 2004, S. 59–62).

Viel Arbeit: das Archivieren von überlieferten Stücken 

An dem Boom der 90er Jahre und danach waren vor allem die Brüder Ratko und Radiša Teofilović und die Sängerin Svetlana Stević beteiligt. Sie machte seit den 1990er Jahren in vielen Regionen des ehemaligen Jugoslawien so genannte Field-Recordings, Aufnahmen vor Ort, und erlernte in Dörfern der Region verschiedene Gesangstechniken. So archiviert sie das vorhandene Liedgut. Auch kann man sich an Musikhochschulen auf Ethnomusik spezialisieren, und dort werden auch viele nur mündlich überlieferte Lieder aufgeschrieben und aufbewahrt. Inzwischen kommt serbische Ethnomusik längst in große Konzertsäle und auf Festivals. Auch im Rahmen unseres Heimatlieder-Projekts sorgt diese Musik durch ihre Schönheit, Eindringlichkeit und Wucht immer wieder für atemlose Stille, große Begeisterung und tosenden Applaus.

Ethno vs. Starogradska vs. Turbofolk 

Ethnomusik hat übrigens nichts zu tun mit der Starogradska, der städtischen serbischen Volksmusik, die heutzutage vor allem in regionalen Restaurants zu hören ist. Ebenso wenig mit Turbofolk, dem neu komponierten Volkslied, einer Mischung ist aus traditionellen Musikelementen und Pop, die zur Zeit des Zerfallsprozesses im ehemaligen Jugoslawien in vielen Regionen beliebt waren. Dort kommen – anders als bei der Ethnomusik – auch Instrumente vor wie Gitarre, Dudelsack oder Flöte. Ethnomusik ist eine eigenständige Musikrichtung und wird an Musikgrundschulen gelehrt und auch an den Hochschulen, wo die Ethnologische Richtung ein eigenes Fach ist.

 

 

Duni mi duni Ladjane

Duni mi duni ladjane – Wehe mir, wehe kühler Wind (anonym)

Duni mi duni ladjane

Duni mi, duni lađane,
Dođi mi, dođi dragane, ej dragane.
 
U moju bašču zelenu,
Pod moju ružu mirisnu, ej mirisnu.
 
Sitan sam biser rasula,
Sitan sam biser rasula, ej rasula.
 
Dodji ga sa mnom kupiti,
Dodji ga sa mnom kupiti, ej kupiti.
 
A ja ću tebe ljubiti,
A ja cu tebe ljubiti, ej ljubiti.
 

Duni mi duni ladjane (frei übersetzt)

Wehe mir / Wehe kühler Wind / Komm zu mir / Komm mein Liebster / In meinen grünen Garten / Unter meine duftende Rose / Kleine Perlen habe ich verstreut.Komm zu mir
 / Wir sammeln sie gemeinsam auf / Wir sammeln sie gemeinsam auf
 / Und ich werde dich dabei küssen.

Duni mi duni ladjane ist ein Hochzeitslied aus dem Kosovo, ein Liebeslied der Braut, eine Botschaft an ihren Bräutigam. Sie lockt ihn zu sich in den Garten unter dem Vorwand, seine Hilfe beim Besticken von Geschenken für die Hochzeitsgäste zu benötigen, aber eigentlich hat sie einen anderen Plan ...

Cije je ono devojce

Cije je ono devojce – Wessen Liebste ist das (anonym)

Чије је оно девојче
 
Чије је оно девојче
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо
 
Што носи перо на еро
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо!
Што носи дукат на чело
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо
 
Што носи поле на доле
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо
 
Да му се ноге не беле
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо
 
Оно је моје девојче
Ђурђе ле Ђурђе момо Ђурђе
хеј водо војводо


(Deutsche Übersetzung: Wessen Liebste ist das / Die eine Feder im Haar trägt / Die einen Dukat auf der Stirn trägt / Die ein langes Kleid trägt / Um ihre Beine nicht zu entblößen / Das ist meine Liebste!)


Cije je ono devojce besingt die Liebeserklärung und Bewunderung eines jungen Mannes an seine Auserwählte. Sie ist durch ihre hinreißende Art, wie sie ihre traditionelle Kleidung trägt, für ihn etwas ganz Besonderes. Das Lied stammt aus Ostserbien, und der Autor ist unbekannt. Aufgeschrieben und ursprünglich aufgeführt wurde es von Svetlana Stevic, einer der bekanntesten Ethno-Interpretinnen Serbiens.

 

Quellen

Arhai's Balkan Folktronica: Serbian Ethno Music Reimagined for British Market, Ivana Medić, Institute of Musicology SASA Belgrad, erschienen in: Serbian Musical Identities within Local and Global Frameworks: Traditions, Changes, Challenges (No. 177004/2011–2014), Ministry of Education and Science of the Republic of Serbia – kostenloser Download hier

Tomic, Dorde: All that Folk: Wissenschaftliche Untersuchungen und Repräsentationen der Folk-Musik im (post-)jugoslawischen Raum. In: Südosteuropäische Hefte 3 (2014), S. 131–162

Melita Milin: The National Idea in Serbian Music of the 20th Century, in: Nationale Musik im 20. Jahrhundert – Kompositorische Aspekte und soziokulturelle Aspekte der Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa. Konferenzbericht Leipzig 2002, Gudrun Schröder Verlag Leipzig 2004