Rafael, Ricardo y Pedro (Kubanischer Son)

Kubanischer Son ist eine vergleichsweise junge Volksmusik, die Ende des 19. Jahrhunderts in ländlichen Regionen entstand, schnell in der Hauptstadt Havanna landete und bald davon profitierte, dass es Kurzwellensender und Schallplatten gab. So verbreitete sie sich auf der ganzen Welt. Diese afrokubanische Musik mit spanischem Einschlag steht wie kaum eine andere für das Lebensgefühl Kubas. Sie ist einfach und vielseitig, tanzbar und überall beliebt. 

Die Musik: Son Cubano (Son)

Spanische Gitarrenmusik trifft auf afro-kubanische Rhythmen

Die Geschichte des Son (vom spanischen sonido für Laut, Klang, Schall, Ton) wird immer wieder anders erzählt. Aber so viel ist sicher: Er entstand im 19. Jahrhundert an mehreren Orten im Osten Kubas gleichzeitig, auf dem Lande rund um Guantánamo, Manzanillo, Santiago de Cuba und Baracoa, der ersten spanischen Siedlung, "Ciudad Primada". Überall in diesen Regionen lebte eine bunt gemischte Gesellschaft: Neben den Einheimischen gab es Siedler aus Andalusien und den Kanaren, afrikanische Arbeitskräfte wie Bantú (vor allem aus Kamerun und Nigeria) und dem Königreich Dahome (heute Benin). Hier trafen spanische Gitarrenmusik und afro-kubanische, teils rituelle Trommelrhythmen aufeinander. Dazu kam ein Frage-Antwort-Gesang, der alltägliche Themen behandelte, weshalb manche den Son auch als Antwort auf den US-amerikanischen Blues verstehen. Zunächst gab es in Guantanámo den sogenannten Changüi, eine frühe Variante des Son mit "zwei Kampfhähnen", wie der peruanische Dichter Antonio Cisneros einmal feststellte: Tres und Bongós waren nämlich "unentwegt am Streiten". Und dann gab es noch den Nengón, bei dem auch der Musikbogen, ein einsaitiges Instrument der Bantú, eine Rolle spielte. Im Sucu-sucu auf der Isla de Piños, einer ehemaligen Piraten- und dann Strafkolonie, kamen auch Akkordeon, Harmonika und Geige zum Einsatz. Afrikanische und spanische Einflüsse prägten die neue kubanische Musik. Und irgendwie war er allmählich oder auf einmal da, der brandneue Tanzstil, und alle machten mit.

Vom Dorf in die Hauptstadt und in die ganze Welt

Der Son war geboren, war schnell flügge und zog weiter – je nach Quelle ging es ungefähr 1909, beziehungsweise spätestens 1918, 800 Kilometer weiter nordwestlich, nach Havanna. Also von einem Ende der Insel zum fast anderen. Wie das geschah, dazu gibt es auch unterschiedliche Versionen. Vermutlich aber kam er mit den Soldaten, die als permanentes Heer in Havanna stationiert wurden, vom Land in die Hauptstadt. Oder Hilfsarbeiter und Tagelöhner hatten ihn im Gepäck. Oder – eine These, die wenige Musikwissenschaftler vertreten – er landete durch gute Beziehungen von Musikerfamilien im Osten schließlich bei der Verwandtschaft und bei Freunden im Westen der Insel. Wie auch immer, in Havanna entwickelte sich die neue Musik rasend schnell weiter, wurde aufgenommen, im Radio gesendet und irgendwann in der Karibik und der ganzen Welt gehört.

Vorbei die Langeweile bei schnöden Tanzee-Zirkeln

Es gab etliche Son-Stile, auch mit Rumba-Elementen, die nach den gleichen Grundregeln funktionierten. Sextette und Septette und ganze Tanzorchester ("Conjuntos") schossen wie Pilze aus dem Boden, und der Son erlebte einen unglaublichen Höhenflug. Vorbei die Gediegenheit in den elitären Tanzsalons! Jetzt kam richtig Schwung in die Veranstaltung, und vor allem in die feinere Gesellschaft, die sich bis dahin bei schnöden Tanztees langweilte. Immer mehr Musiker mit immer mehr Instrumenten gesellten sich zu den Kombos, und so gab es nicht mehr nur Tres, Maracas und Bongós, sondern auch Kontrabass, Marímbula, manchmal auch die Guayo (ein Schrapinstrument), und Trompete. Die Texte waren oft patriotisch und zwar deutlich für die Unabhängigkeitsbewegung (immer wieder kamen Vögel vor, als Freiheitssymbol), ernsthaft bis veralbernd, ein bisschen frivol oder auch vulgär und unterhaltsam. Ironie und Kritik wurden geschickt verpackt. Getanzt wurde in Paaren, und zwar leidenschaftlich und eng. Vorbei die anfängliche Ablehnung der Bourgoisie, und vergessen die Verbote der Regierung aus Gründen der Unmoral der neuen Musik. Es entstanden neue Ballsäle in Havanna und in anderen Städten sowie die ersten Plattenaufnahmen von legendären Kombos wie dem Ensemble Quarteto Oriental, Sexteto Habañero, Sexteto Occidente und dem Septeto Nacional de Ignacio Piñeiro. Schwarze wie Weiße waren begeisterte Anhänger des Son.

Vom Untergang und der Wiederauferstehung

Nach der Revolution allerdings verlor der Son schlagartig an Bedeutung. Westliche Musik war verboten, und so gab es kaum Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Tatsächlich trug der Film "Buena vista Social Club" von Wim Wenders (1999) zu einem Revival bei. Die sogenannte "Musik der Alten" erlebte eine neue, ungeahnte Blütezeit, die bis heute andauert.

So klingt der Son

Aus der spanisch gezupften Gitarre entstand die Tres als wichtigstes, unverzichtbares Instrument. Oft wurde von den Musikern auch einfach eine vorhandene Gitarre umgebaut. Dazu kamen Claves (zwei Schlaghölzer) oder Maracas für den Rhythmus. Der Gesang: ein Vierzeiler (Montuno) als Refrain und ein 8-zeiliger Gegenpart als Solomotiv, übrigens eine Referenz an afrikanische Singspiele. Dazu noch afrikanische Perkussion mit Bongós, und schon war das Grundgerüst fertig. Der Son Cubano zeichnet sich aus durch seine Einfachheit und Vielseitigkeit. Er ist durch seinen relativ festen, tanzbaren Takt klar gegliedert und bietet unendlich viele Variationsmöglichkeiten.

Aus dem Son entwickelten sich weitere Musikstile wie Rumba, Mambo, Cha-Cha-Chá und Salsa

Son de la Ma' Teodora 

Mit La Ma' Teodora spielen Rafael, Ricardo y Pedro ein traditionelles Son-Stück, das in Kuba jedes Kind kennt. Besonders ist hier, dass es keine Text/Chorus-Struktur gibt. Früher wie heute wird der Text immer und immer wieder gesungen, auf jeden Satz folgt der Refrain "Rajando la leña está" während die Musik stets neu interpretiert wird. So wurde und wird aus einem zweiminütigen Original schnell eine 15minütige Bühnenperformance.

„La Ma' Teodora“

 

Donde esta la Ma’ Teodora/ Rajande la leña esta / Que donde esta que no la veo Rajando la leña esta / Con su palo y su tambora / Rajando la leña esta / Donde esta la Ma’ Teodora / Rajando la leña esta

Wo ist Ma’ Teodora / Beim Holz hacken / Aber wo ist sie denn, ich kann sie nicht sehen / Beim Holz hacken / Mit ihrem Stock und ihrer Trommel  / Beim Holz hacken / Wo ist La Ma’ Teodora

 

Y tú, qué has hecho?

"Y tú, qué has hecho?" ist eine Liebeserklärung eines alten Mannes an ein junges Mädchen, eine unmögliche, aber natürlich große Liebe! Der poetische Text ist wie die Musik: Fröhlichkeit und Melancholie zugleich. Das Lied wurde in den 1920er Jahren von Eusebio Delfín geschrieben. Der vielseitige Komponist hat Geige, Flöte, Gitarre und Gesang studiert, eine Reihe von Platten aufgenommen und die Entwicklung des Boléro maßgeblich mit vorangetrieben. Aber unser Mann hatte zur Freude seiner Familie auch etwas Vernünftiges gelernt, nämlich eine Banklehre gemacht, und so wurde er eines Tages Direktor der Banco Comercial, heiratete Amália Bacardi, Tochter eines Rum-Fabrikanten, er schrieb Bücher, war Bürgermeister von Santiago de Cuba und hinterließ einen Teil seines Reichtums den Armen und Schwachen. 

„Y tu, qué has hecho?“

 

Y tú, qué has hecho / En el tronco de un árbol una niña / Grabo su nombre henchida de placer / y el árbol conmovido allá en su seno / a la niña una flor dejó caer. / Yo soy el árbol conmovido y triste / tú eres la niña que mi tronco hirió / Yo guardo siempre tu querido nombre / Y tú, ¿qué has hecho de mi pobre flor?

Und du, was hast du getan? / In den Stamm eines Baumes schnitzte / ein junges glückliches Mädchen seinen Namen / der Baum, zutiefst gerührt / ließ eine Blüte auf das Haupt des Mädchens fallen. / Ich bin der Baum, unglücklich und zutiefst bewegt / Du bist das Mädchen, dass sanft meine Borke verwundete / Ich werde deinen Namen bis in alle Ewigkeit tragen und schätzen

Charakteristisch für Delfíns Kompositionen war die Einführung der Melodie durch eine Arpeggio-Gitarre. Sie gab dem kubanischen Boléro, einer vom Son beeinflussten Musikrichtung, harmonische und rhythmische Veränderungen mit auf den Weg. Ein Arpeggio ist ein Akkord, bei dem die Töne nicht gleichzeitig, sondern versetzt hintereinander, also leicht harfenartig gespielt werden.

Rafael, Ricardo y Pedro spielen "Y tú, qué has hecho?" in einer eigenen Interpretation von Manuel Corona, einem kubanischen Zigarrendreher, der von seinem Vorarbeiter lernte, die Gitarre zu spielen. Der Trovador (Singer-Songwriter) trieb sich im Rotlichtmilieu von Havana herum, geriet verliebt zwischen eine Hure und ihren Zuhälter, worauf dieser ihm mit einem Messer in die Hand schnitt. Nie wieder konnte Corona Gitarre spielen und lebte fortan von seinen Kompositionen - leider erfolglos, denn er starb arm.

Unsere kubanische Tanzkapelle

Ricardo Moreno (Perkussion) kam zu DDR-Zeiten zum Studium nach Deutschland und blieb nach der Wende hier. Rafael "Felo" Martinez (Gitarre, Gesang) und Pedro Abreu (Geige, Maracas) kamen später erst nach Deutschland. Für die Musiker bedeutet Musik machen in Deutschland nicht nur Abendgestaltung und gefeiert werden. Es bedeutet auch, sich mit dem Alltag und dem Hin-und-hergerissensein musikalisch auseinandersetzen zu können. Sie singen alte kubanische Lieder aus den 1920er und 1930er Jahren. Lieder, die in Kuba zum Standard gehören und die sie aus ihrer Kindheit kennen, mit ihren Eltern und Großeltern zusammen gesungen haben. Sie spielen überwiegend Son.

Die drei Kubaner kannten sich aus verschiedenen Berliner Bands, die mit kubanischen Klassikern auf der Bühne und in Restaurants auftraten. Sie haben sich extra für unser Heimatlieder-Projekt zusammengetan, was eine großartige Entscheidung war. Sie gehören im Ensemble längst zum harten Kern, der meistens dafür verantwortlich ist, dass es nach einem Auftritt immer noch ein bisschen weiter geht. Zum Beispiel mit dem Lied "Guajira Guantanaméra", einem für Kuba besonders wichtigen Lied aus der Unabhängigkeitsbewegung. Große Teile des Textes stammen vom kubanischen Nationalhelden José Marti, der im Unabhängigkeitskampf Kubas eine bedeutende Rolle spielte. Der Text ist aus seinem Gedichtband Versos sencillos, einfache Gedichte. Rafael: "Tanzen nicht verboten!"

Die Instrumente

Tres

Es gibt Leute, die behaupten, die Tres wurde allein für den Son erfunden. Sie war von Anfang an dabei – kann aber durch eine Gitarre oder ein Klavier ersetzt werden. Die Tres stammt von der Gitarre ab und hat drei Doppelsaiten. Früher waren es sogar drei Dreifachsaiten/Chöre (zusammengehörige Saiten). Daher auch der Name: tres ist spanisch für drei. Sie ist ein klassisches Begleitinstrument. Gemacht wird sie aus Holz, gespielt mit einem Plektron aus Schildkrötenpanzer oder Metall. Die ersten selbstgebauten Tres hatten Saiten aus gewachster Angelschnur. Man kann auch eine klassische oder Western Gitarre zur Tres umbauen, was viele kubanische Musiker machen. Hendrik, der unser Trio manchmal begleitet, ist übrigens einer der besten Tres-Spieler in Berlin, wenn nicht der beste.

Maracas (Rumba-Rasseln)

Dazu gehören imer zwei: Maracas sind ein Perkussionsinstrument, ursprünglich zwei mit Körnern gefüllte Kalebassen, die einen unterschiedlichen Klang haben. Sie werden in einem durchgehenden Rhythmus geschüttelt. Dabei hält der Spieler sie am Griff, so wie Pedro Abreu: ultralässig aus dem Handgelenk. Die Maracas gehören in die Gattung der Idiophone, das heißt, sie selbst sind der Klang, sie klingen, wie sie klingen. Man sagt auch Rumba-Rasseln oder Rumba-Kugeln dazu, oder einfach nur Rasseln. Sie sind hauptsächlich in der lateinamerikanischen Musik zu hören. Pedros Maracas kommen übrigens aus Afrika, sind aus Leder und Holz und rasseln mit kleinen Kügelchen.

Bongos (Bongós)

Bongos, oder spanisch Bongós, sind ein afro-kubanisches Perkussionsinstrument. Ein kleines Paar verbundener Trommeln aus dem östlichen Kuba. Sie etablierten sich vor allem mit dem Son und sind weit verbreitet, auch im Salsa und im kubanischen Jazz. Sie werden mit den Händen geschlagen. Vermutlich entstanden sie im späten 19. Jahrhundert mit den Vorläufern des Son, Nengón und Changüí. Die nach unten offene Konstruktion der Bongós könnte darauf schließen lassen, dass ihre Vorbilder kongolesische Bantú-Trommeln waren. Zwei davon zusammenzubauen, scheint aber eine kubanische Idee gewesen zu sein. 

Was noch?

In traditionellen Son-Gruppen gab es auch eine Reihe von anderen Instrumenten (siehe oben), zum Beispiel die Cajón, die Güiro oder eine Marímbula. Bei uns hört ihr auch noch eine Geige und manchmal auch einen Bass oder ein Klavier. 

 

Kubanische Musik in Deutschland

"Ruth, tanz heut mit mir kubanisch"

In den Zeiten der Prohibition boomte der Kuba-Tourismus, denn viele US-Amerikaner fuhren (oder flohen) zum Feiern hierher. Für viele war ja der Weg in die Karibik nicht weit. Die kubanische Musik war übrigens zu dieser Zeit schon längst in den Händen der amerikanischen Plattenindustrie. 

In Deutschland gab es zeitgleich einen Rumba-Boom. Alle Welt wollte kubanische Musik hören und tanzen – der Berliner Wintergarten hängte, wie vermutlich andere Tanzschuppen auch, sogar Plakate mit den Tanzschritten auf. Rumba bezeichnete allerdings alles, was irgendwie aus Kuba kam und karibische Erotik, Freiheit und Leichtigkeit verkörperte. Willy Meisel schrieb das Liedchen "Ruth, tanz heut mit mir kubanisch", und Hans Hirsch legte 1932 nach: "Fahr mit mir nach Kuba, Schatz!", dort lebe man ganz herrlich, mit wenig Geld, denn Kaffee und Tabak pflücke man "gleich vom Feld." 1937 kam der Streifen "La Habanera" in die Kinos, mit Zarah Leander, die im Film zwar keine Kubanerin ist, sondern Schwedin, und der Film spielt in Puerto Rico - aber es war aber Stoff zum Träumen. Lateinamerikanische Musik vereinte irgendwie alles, was exotisch genug war, völlig undifferenziert. Die Deutschen tanzten und träumten, bis die NSDAP alles verbot. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: "Für Jazz, Jimmy, Slow Fox, Rumba und andere Negertänze ist im deutschen Rundfunk kein Platz. An deren Stelle hat der deutsche Rund- und Reihentanz zu treten." Rund- und Reihentanz überzeugten aber nicht jeden, und verbieten ließ sich die von den Nazis gefürchtete Musik aus der Karibik nicht. Es gibt außerdem Vermutungen, dass Maracas und Congas auch weiterhin zu hören waren.

Nach dem Krieg kamen vor allem durch Carmen Miranda Samba und Cha-Cha-Chá auf, doch das ist eine ganz andere Gesichte, ebenfalls nachzulesen im Buch "Alles in meinem Dasein ist Musik" (siehe unten).

Den ganz großen Boom, ein echtes Revival, erlebte der Son Cubano 1996 durch das Album Buena Vista Social Club, das Ry Cooder mit Mitgliedern des kubanischen Tanzclubs aus den 1940er Jahren aufnahm, übrigens das bestverkaufte Weltmusikalbum aller Zeiten. 1999 legte Cooders alter Freund Wim Wenders den gleichnamigen Film nach und bescherte dem ganzen noch mal einen Boom, der auch in Deutschland für Begeisterung sorgt und viele in die Tanzschulen trieb, um kubanisch tanzen zu lernen.

 

Quellen:

 

Buena Vista – Die Musik Kubas, Vorwort von Compay Segundo, Maya Roy, Heidelberg 2000

„Alles in meinem Dasein ist Musik...“ – Kubanische Musik von Rumba bis Techno, Torsten Eßer, Patrick Frölicher (Hg.), Frankfurt am Main 2004

Cuban Music from A to Z, Helio Orovio, London 2004

Essays on Cuban Music – North American and Cuban Perspectives, Peter Manuel (Hg.), Lanham (Maryland, USA), 1991